Positionen

Im Studium wurde noch gealbert, wenn man zu einem Sachverhalt drei Autoren lesen würde, hätte man mindestens vier unterschiedliche Meinungen eingesammelt. Das würde nicht nur für die Psychologen gelten, spätestens seit Heisenberg müssten alle Wissenschaftler damit leben. Und im Übrigen seien Forschungsschwerpunkte nahezu immer Abbildungen von wirtschaftlichen Gegebenheiten.

Bei den Alkoholkrankheiten wird dieser Sachverhalt überdeutlich: bis zum höchstrichterlichen Entscheid 1968, dass die bis dahin als selbstverschuldet geschmähten Störungen nicht zu Lasten der gesetzlichen Versicherer behandelt werden müssten, herrschte Dürre in der Forschung. Nach dem Richterspruch explodierte das Wissen über Abhängigkeit. Natürlich war der forscherische Drang gespeist aus dem Ringen um Erkenntnis, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aber es gab auch Geschäftsfelder für Firmen, Jobs für Mitarbeiter, regelmäßige Einkommen, Chancen auf wissenschaftliche Veröffentlichungen und Mehrung von Ruhm und Ansehen.

So ist diese Welt eben. Hier herrschen außerparadiesische Zustände. Man könnte ja mal überschlagen, wieviel Geld ausgegeben wird für die Erforschung der Faltenbildung in der Gesichtshaut oder des Haarausfalls, um mit den Ergebnissen die Konsumenten der Industriestaaten zu beglücken. Und man könnte die Summe vergleichen mit derjenigen, die ausgegeben wird für die Bekämpfung von Malaria in Weltgegenden mit geringem Pro-Kopf-Einkommen.

Weil die Welt genauso ist wie sie ist, halte ich es für günstig, dass der Hintergrund offen gelegt wird, vor dem eine Meinung vertreten wird. Das gilt auch dann, wenn die Meinung wissenschaftliche Fundierung für sich in Anspruch nimmt. Weitere Positionen beziehungsweise Standpunkte sind willkommen. Der Unterzeichner einer Position sollte unbedingt identifizierbar sein.

Prof. Dr. Michael Klein

Prof. Dr. Michael Klein, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie, Leiter der Kompetenzplattform Suchtforschung an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen (KFH NW), Köln im Vorwort des Buches "Der mündige Trinker".  

Mit dem vorliegenden Buch finden die Leserinnen und Leser eine, im deutschen Sprachbereich einmalige, Darstellung der Möglichkeiten und Chancen des Selbstmanagementansatzes in der Therapie der Alkoholabhängigkeit. Es ist erstaunlich, wie wenig dieser Ansatz, ursprünglich von Frederik H. Kanfer entwickelt, in Deutschland und den Nachbarländern rezipiert wurde. Dies mag vor allem seiner Komplexität geschuldet sein. Denn Selbstmanagement ist – wie auch der Titel des vorliegenden Buches „Der mündige Trinker“ zeigt – ein anspruchsvolles und zutiefst humanistisches Programm. Insofern ist es das besondere Verdienst des Autors Peter Sadowski, dass er Theorie, Modelle und Praxis des Selbstmanagements in seiner Anwendung auf alkoholbezogene Probleme dargestellt hat und damit zur sicherlich verdienten und notwendigen weiteren Verbreitung des Therapieansatzes beiträgt.

Zur Systematik des Selbstmanagements gehören vor allem,

  • dass Patient:Innen selbst eindeutige Entscheidungen zum Behandlungsauftrag und zur Störungsbewältigung trifft, wobei er wohlwollende therapeutische Begleitung erfährt
  • dass den Betroffenen grundlegende Selbstmanagement-Kompetenzen vermittelt werden. Insofern liefert die Therapie entscheidende Bausteine zu einer erfolgreichen Lebensführung und einem gelingendem Leben
  • dass die funktionalen Zusammenhänge zwischen Störungsentwicklung und Persönlichkeit gemeinsam mit den Patient:Innen identifiziert werden
  • und dass schließlich gemeinsam mit einzelnen Patient:Innen Alternativen für die Art des Erlebens und Verhaltens erarbeitet werden, die bis dahin die Abhängigkeitsentwicklung gefördert hatten.

Die genannten Ziele verdeutlichen, dass Selbstmanagement ein radikal befreiender, emanzipativer Therapieansatz sein kann. Deshalb ist es für Suchtpatient:Innen, die sich oft als Opfer ihres Suchtmittels, ihres Umfeldes oder ihres Lebens schlechthin fühlen, ein besonders geeigneter Ansatz. Indem die Verantwortung für Denken, Fühlen und Handeln thematisiert und neu kalibriert wird, besteht für viele Abhängige die Chance zur Befreiung, zu einem verantwortlichen und mündigen Leben. Dabei lernen die Patient:Innen im Idealfall Selbststeuerung weit über den Zeitraum der Therapie hinaus. Im Optimalfall werden diese Kompetenzen für das gesamte Leben und alle Situationen, die dem Einzelnen begegnen, gelernt. Ausgehend von konkreten Problemen können Patient:Innen die grundlegende Haltung des Steuermanns auf dem eigenen Schiff lernen, der selbstverantwortlich, aber auch sozial und ethisch verantwortlich durch das Leben navigiert. Übergeordnetes Ziel der kompetenten Selbstregulation ist nicht nur die kompetente Selbstregulation, sondern auch die Selbstregulation der Selbstregulation. Der Einzelne soll erkennen, wie viel Steuerung er einsetzt und wann er darauf verzichten kann. Denn auch ein Alkoholabhängiger braucht Momente der Entgrenzung, des Lustgewinns und des Exzesses, wenn auch ohne sein altes Suchtmittel. Der Autor zeigt neben dem individuellen Nutzen des Selbstmanagements auch dessen gesundheitsökonomische Bedeutung auf. Eine höhere Verbreitung dieses Ansatzes und der damit verbundenen Kompetenzen hätte, durch die stärkere Selbstverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger, auch kostendämpfende Effekte im Gesundheitswesen. Das vorliegende Buch ist vor dem Hintergrund einer soliden Theorie in der Praxis entstanden. Auch das macht seinen besonderen Charme aus. Die beschriebenen Therapieelemente wurden an und mit Patient:Innen der Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung in Greifswald zur Praxisreife geführt. Ich wünsche dem Buch eine weite Verbreitung und Nutzung. Es ist für den interessierten Praktiker, den lernenden Studierenden und den an Suchtforschung Interessierten gleichermaßen wertvoll.  

Dr. phil. Peter Sadowski

Meine Vorstellungen von psychotherapeutischen Maßnahmen bei Alkoholabhängigen

Als ich noch jünger war, nannte Osho sich noch Baghwan und aus Poona verbreitete sich die Botschaft: Therapie ist Liebe. Quatsch, hielten Zyniker entgegen; rent a friend sei die treffende Beschreibung. Beides finde ich übertrieben. Therapeut:Innen sind Auftragnehmer, die in einem definierten Zeitrahmen seinem Klient:Innen oder Patient:Innen hilft, definierte Änderungen im Erleben und im Verhalten, oder in beidem, des Klient:Innen oder Patient:Innen zu bewirken. Etwa zu jener Zeit verbreitete sich Ken Keseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ auch in Deutschland. Die Figur der Miss Ratched (Kesey, 1962) wurde zum Sinnbild einer machtgeilen Menschenverächterin, die, hinter der Maske des Gutmenschen verborgen, die psychische Gesundheit und Leben von Patient:Innen zerstört, wenn sie sich nicht in ein vorgegebenes System pressen lassen.  Heute schwärmt man eher vom Spirit des motivierenden Interviewens oder der motivierenden Intervention, der es erlaubt, ergebnisoffen mit Klient:Innen bzw. Patient:Innen Therapieziele auszuhandeln. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Kanfer hatte seine Überlegungen zur Selbstmanagement-Therapie schon früh die humanistische Form der Verhaltenstherapie genannt. Bei aller Achtung und Wertschätzung gegenüber Klient:Innen bzw. Patient:Innen bleiben therapeutische Arbeitsbündnisse doch definierte Beziehungen, die sich aus dem Arbeitsauftrag ergeben. Man sollte auch bedenken, dass die Beziehungen zwischen Therapeut:Innen und Patient:Innen nicht im luftleeren Raum zu Stande kommen, sondern sie kommen zu Stande innerhalb der Bedingungen, die von den gesetzlichen Kostenträgern gesetzt werden. Und in diesem Rahmen ist zurzeit eine Maßnahme zur Rehabilitation nur möglich, wenn von Klient:Innen bzw. Patient:Innen Abstinenz angestrebt wird. Und eins noch: Leistungserbringer sehen sich gelegentlich berechtigt, über die Ansprüche der Kostenträger zu klagen (viel Leistung für wenig Geld). Aus der Sicht der Patient:Innen hat sich die ordnende Kraft der Kostenträger im Bereich der Abhängigkeitserkrankungen als segensreich erwiesen. Seit 1968 wurde das Behandlungsangebot für Abhängige zunehmend stärker professionalisiert, Behandlungszeiten wurden kürzer und therapeutische Interventionen konnten immer besser an die Umstände der jeweiligen Einzelfälle angepasst werden. Der gegenwärtige Zustand der Rehabilitations-Landschaft ist nicht zuletzt den Mindestanforderungen an Strukturqualität zuzuschreiben, die von gesetzlichen Kostenträgern für den Bereich der medizinischen Rehabilitation von Abhängigen durchgesetzt wurden. Die Anforderungen beschränken sich auf Bedingungen wie die Ausbildung der Mitarbeiter in Einrichtungen der Leistungserbringer, die Anzahl der Mitarbeiter im Verhältnis zur Anzahl der behandelten Patient:Innen und das Vorlegen eines wissenschaftlich begründeten Konzeptes. Stark vereinfacht lässt sich sagen, dass der therapeutische Prozess aus der Sicht der „Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ wie eine Black Box gesehen wird. Es wird festgesetzt, wer hinein darf und hinterher wird geschaut, welche Ergebnisse sich messen lassen. Der logische nächste Schritt ist es, die Wirksamkeit der therapeutischen Mittel zu belegen, die in der Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation eingesetzt werden. Wer diese Überlegungen anstellt, wird die Ergebnisse von Grawe und der um ihn versammelten Gruppe von Forschern nicht unterschätzen dürfen. Den Problemlösetherapien wird von dieser Forschergruppe ein ganz außerordentlich günstiges Wirkungsprofil (Grawe, Donati & Bernauer, 1994) zugeschrieben. Die Selbstmanagement-Therapie wird unter die Problemlösetherapien untergeordnet. Mit unserem Konzept haben wir den Kostenträgern die wissenschaftliche Begründung für dieses Vorgehen vorgelegt. Den von Grawe identifizierten Wirkvariablen wird in diesem Konzept in besonderer Weise Rechnung getragen. Mit dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, auf welche Art und Weise die von Grawe identifizierten Wirkvariablen in der therapeutischen Praxis angewendet werden.   Peter Sadowski, im Winter 2005

Dr. phil. Peter Sadowski
Gützkower Straße 85
17489 Greifswald

Tel.: 03834 8886881
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